Stadt.Land.Überfluss

Zu Beginn der Reihe hatte das Publikum das Vergnügen, den Ausführungen der brandenburgischen Genossenschaft “Oekonauten eG” zu lauschen. Ökonauten ist eine Bürgergenossenschaft zur Erhaltung und Förderung kleinstruktureller ökologischer Landwirtschaft, für die Unterstützung von Jungbauern und zur Vermeidung von Bodenspekulationen. Dabei war zu erfahren, dass die Brandenburgische Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG), die mittels Versteigerungen für die Veräußerung landeseigener Flächen sorgt, in den seltensten Fällen erschwingliches Ackerland bereitstellt. Vielmehr haben sich die Preise für Boden in den letzten 10 Jahren teils verfünffacht.  Der Preisanstieg sogar auf sehr schlechten (weil sandigen) Böden mit potentiell niedrigen Erträgen und niedrigen Ackerzahlen ist dem Umstand geschuldet, dass große Agrarfirmen möglichst viel zusammenhängende Fläche ergattern wollen, um “lästige” Biotopstrukturen und unnötige Wege zu dezimieren. Auf diesen Flächen werden häufig die Energiepflanzen Mais und Raps angebaut. Welche Ausmaße dieses Landgrabbing in Brandenburg und auch weltweit annimmt, ist hier gut dokumentiert.

Der Weg der Oekonauten eG ist es, mit interessierten aber landlosen Junglandwirten eine umfassende Strategie zu entwickeln, die zur Klärung der Fragen beiträgt, was erreicht werden soll, an welchem Ort und in welcher Flächengröße eine Betriebsgründung vorstellbar wäre. Sind diese Faktoren abgesteckt, wird begonnen, entsprechende Flächen im Kataster der BVVG zu ermitteln und zu erwerben.

Wichtig zu wissen ist dabei, dass sich die Genoss*innen, die die Finanzierung der Betriebsgründungen ermöglichen, dem edlen Ziel der Philanthropie verschrieben haben. An Stelle von Renditen tritt ein jährlicher Präsentkorb des unterstützten Betriebes. Der Eintritt in die Genossenschaft ist mit Einlagen ab 500€ möglich und könnte bei Bedarf nach Ablauf der 2-jährigen Kündigungsfrist wieder gelöst werden.

Neben der aktiven Unterstützung beim Umbau unseres Ernährungssystems in zukunftsfähige Strukturen kann so ein Einblick in die ökologische Landwirtschaftspraxis ermöglicht werden. Darüber hinaus erhalten Genoss*innen Mitspracherechte und können die Genossenschaft aktiv mitgestalten.

Bislang konnten in Brandenburg durch die Ökonauten etliche Hektar Land gesichert werden, auf denen insgesamt 6 Betriebe (teils im Aufbau) ihre Zukunft errichten konnten. Zwei der Projekte befinden sich in Potsdam.

 

Solidarische Landwirtschaft

Da es bei dieser Veranstaltung um die ländliche Komponente des Komplexes Stadt.Land.Überfluss. ging, haben wir an dem Abend zusätzlich die nach Potsdam liefernden solidarischen Landwirtschaften porträtiert. Das Konzept hinter dieser Organisationsform ist, dass ein Landwirt oder Kollektiv von den auf ein Jahr festgelegten Mitgliedschaften (und entsprechenden Beiträgen) seine Unkosten decken kann und die Mitglieder im Gegenzug wertvolles ökologisches Gemüse (bzw. teils auch Eier, Käse, Brot oder Fleisch) erhalten. Dabei ist jedoch nicht die Quantität des Lieferumfangs vorgegeben, da der Bauer so auch in schlechten Zeiten solidarisch finanziert wird. Weitere positive Aspekte sind die Verbindung der Mitglieder mit dem jeweiligen Hof und die gemeinschaftsstiftenden Arbeitseinsätze. In dieser Übersicht findest du auf einen Blick wichtige Eckdaten. Alles Weitere lässt sich auf diesen Seiten recherchieren:

www.speisegut.com

www.sterngartenodyssee.de

http://solawi-potsdam.blogspot.com/

www.solidarische-landwirtschaft-fläming.de

 

Ein aktuelles Projekt der Ökonauten ist der Aufbau der Solidarischen Landwirtschaft in Potsdam Grube. Diese ist aktuell noch ohne Online-Auftritt, sucht jedoch ab diesem Frühjahr Mitglieder und kann bei Bedarf unter info@solawi-potsdam-west.de kontaktiert werden.

MITMACHEN: Sollten sich einige Interessen*innen finden, die sich in Drewitz einen Abholort für Solidarische Landwirtschaft wünschen, um dort ihr Gemüse abzuholen, können wir gerne ins Gespräch kommen. Von Seiten verschiedener Initiativen wurde bereits entsprechendes Interesse signalisiert.

Überfluss

Gegenstand unserer zweiten Veranstaltung war der Überfluss oder genauer: die Lebensmittelverschwendung in Deutschland.

Weltweit wird jedes Jahr ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen, in Deutschland sind es 18 Mio Tonnen jährlich. Dabei entstehen unnötige Kosten und Emissionen, andererseits werden gesellschaftliche Strukturen manifestiert, z.B. indem Menschen mit wenig Einkommen auf die Folgen des Überflusses, die Ausgabe bei der Tafel, angewiesen bleiben.

Im Rahmen unserer Reihe "Stadt.Land.Überfluss" traf das Thema Lebensmittelverschwendung am Abend des 28.02. auf große Resonanz. Bei der Diskussion zwischen Maria Conze (Die Tafel Potsdam e.V., Anne Wolff (Foodsharing Potsdam) und Hannah Legleitner (Restlos glücklich e.V.,Berlin) wurde deutlich, dass neben Verbrauchern und Einzelhandel auch verschärfte politische Regeln eine Auswirkung auf die Verringerung der Verschwendung haben. Dabei klang der Wunsch nach einer Regelung wie in Frankreich an, wo große Läden (ab 400m² Ladengröße) verpflichtet sind, ihre überschüssigen Lebensmittel zu spenden.

Verbraucher verantworten derzeit fast 40% der Lebensmittelverluste. Der Handel ist jedoch ebenso gefordert, die Verbraucherwünsche nicht bis zur letzten Minute (z.B. mit stets verfügbarem frischen Brot) zu erfüllen. Zu guter Letzt besteht die Notwendigkeit von der Massenproduktion von Essen zu Lasten von Bodenfruchtbarkeit und Natur wieder zu einer Produktionsweise zu gelangen, die gute Nahrung zu naturverträglichen Konditionen produziert. Die bislang gießkannenartig ausgegebenen EU-Agrarsubventionen (je mehr Fläche desto mehr Geld) sollten also nur noch an die Einhaltung von Umweltstandards geknüpft werden. Das könnte, muss aber keine Auswirkungen auf den Preis haben.
Auch unklare Verteilungsfragen zwischen Foodsharing und Tafel, konnten bei dem Gespräch ausgeräumt werden. Dabei wurde deutlich, dass die Tafel in Potsdam momentan kaum genügend Lebensmittel verteilen kann, während Foodsharing in Berlin wie Potsdam eher den weiterhin herrschenden Überfluss bemängelt und mit dem Weiterverteilen kaum hinterherkommt. Um eine Rivalität der beiden Initiativen nicht herbeizureden ist wichtig zu wissen, dass Foodsharing vorwiegend bei Bioläden Ware abholt, die Tafel hingegen bei Discountern und im Lebensmitteleinzelhandel, sowie beim Bio-Bäcker Fahland. Für beide gilt mittlerweile, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum der Waren überschritten sein darf. Auch in diesem Punkt wurde von den Anwesenden eine bessere Aufklärung der Bevölkerung gewünscht. Weitere Informationen sind hier abrufbar.

Insgesamt wurde der Umstand, dass bislang nur kleine gesellschaftliche Gruppen (Studierende, Leistungsempfänger) mit der Verteilung überschüssiger Lebensmittel vertraut sind bemängelt, da ein Großteil der Gesellschaft mit den Ausmaßen und negativen Folgen unseres Lebensstils kaum in Berührung kommt. Hanna vom Verein Restlos Glücklich e.V. hat jedoch mit einfachen und verblüffenden Mitmachaktionen mit sehr heterogenen Zielgruppen gute Erfahrungen gemacht: “Um Vorurteile zu überwinden, müssen die ausrangierten Lebensmittel gefühlt und geschmeckt werden, dann kommen Fragen”. Strittig blieb, ob Lebensmittel teurer werden müssten um ein Umdenken herbeizuführen oder ob dies nicht zulasten der Schwächsten ginge - trotzdem waren sich in der lebhaften Diskussion im anschließenden Worldcafé alle einig, dass Geschmack und Kochkünste mit unverarbeiteten Lebensmitteln viel mehr geschult werden müssen, um die Wertschätzung unseres Essens zu erhöhen. Von Kindern genutzte Schulgärten und gemeinschaftliche Events wie SchnippelDiskos können bereits viel verändern. Gut, dass wir auf der Wendeschleife genau diesen Weg der gemeinschaftlichen (Geschmacks-)horizonterweiterung gehen wollen und auch in diesem Jahr wieder vielfältige alte Gemüsesorten anpflanzen werden.

Auch den Gästewunsch, eine Ansprechperson der Stadtverwaltung zur Thematik einzuladen, behalten wir für kommende Veranstaltungen im Hinterkopf: schließlich wollen wir die gemeinwohlorientierten Ergebnisse unserer werkstatthaften Treffen gern mit Entscheidungsträgern teilen.

 

MITMACHEN: Du wünschst dir eine Foodsharing Gruppe in Drewitz/Kirchsteigfeld/Stern oder hast Lust das Konzept KüFa in diesen Stadtteilen zu erproben? (Küche für alle = Es wird gemeinsam gerettetes Gemüse geputzt, geschnippelt und gekocht und im Anschluss für alle hungrigen Interessierten gegen eine kleine Spende serviert)

Wende dich gern an uns, wir sind bei der Organisation behilflich.

Essbare Stadt

Beim letzten Termin der interaktiven Reihe haben wir uns die Frage gestellt, ob eine Gartenstadt nicht auch „essbar“ sein sollte. Diese Frage kam im Projekt Wendeschleife auf, nachdem wir über Medienberichte mit der ungewöhnlichen Grüngestaltung der Stadt Andernach in Kontakt gekommen waren. Um gemeinsam Antworten zu finden und konkrete Entwicklungsschritte festzuhalten, luden wir Vertreter*innen aus Wohnungswirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Umweltverbänden zu einer Art öffentlichem „Werkstattgespräch“.

Zunächst bekamen wir einen theoretischen Einblick in die Bedeutung und Entwicklung des Begriffs der „Essbaren Stadt“. Die Potsdamer Geoökologin Marei Frener setzt sich zurzeit in ihrer Abschlussarbeit mit dem Themen- und Konfliktfeld von mehr Nutz- statt Zierpflanzen auf öffentlichen Grünflächen auseinander. In ihrem Vortrag konnte sie zeigen, dass Essbare Städte nahezu überall realisierbar sind. Als Beispiele gelten u.a. Havanna oder Detroit aber auch Kassel und Köln. Essentiell sind dafür jedoch Transparenz und Partizipation von Anwohner*innen und Behörden. Den Formen und Orten sind dabei keine Grenzen gesetzt. So lassen sich neben Brachflächen auch Hauswände oder Dächer sowie Zäune und Sichtschutz essbar gestalten. Neben der Urban Gardening Ästhetik in Kisten und Hochbeeten kann auch die öffentliche Grünflächengestaltung interessante Akzente mit buntem Mangold, Kohl oder blühenden Zwiebelgewächsen setzen. Den gesundheitsbetonten Zweifeln der Kritiker ist entgegenzuhalten, dass an Straßen gezogenes Gemüse weit weniger Schadstoffe enthalten kann, als solches, dass aus intensiv bewirtschafteten Gewächshäusern stammt. Bei der Standortwahl für städtisch angebautes Gemüse ist die Nutzungsgeschichte zu beachten. Schwermetalle werden im Boden nicht abgebaut und akkumulieren sich insbesondere in städtischen Böden.

Im Anschluss lenkten wir die Perspektive auf Drewitz und machten mittels Fotodokumentation einen virtuellen Rundgang durch die verschiedenen Innenhöfe. Dabei wurden sehr unterschiedliche Gestaltungsschwerpunkte bzw. Pflegeintensitäten deutlich. Zum einen waren die Gemeinschaftsflächen frisch angelegt und mit neugepflanzten Bäumen und Spielgeräten aufgewertet. Zum anderen fanden sich monotone lückige Grünflächen mit rostigen Wäscheleinenhalterungen, die vor allem durch ihr Entwicklungspotential glänzten. Dazwischen waren immer wieder frisch planierte, jungfräuliche Erdflächen zu sehen, die kurz vor einer Neugestaltung stehen. Die entsprechenden Pläne warten schon in den Schubladen. Dennoch sollten Anwohnerwünsche langfristig integriert werden. Was aber sind Anwohnerwünsche? Ist die „Essbare Stadt eine Antwort auf Vereinsamung und mangelnde Naturkenntnis oder ein avantgardistisches Projekt weniger Idealisten? Und wie kann eine Essbare Stadt partizipativ und auch aus planerischer Sicht ästhetisch verwirklicht werden? Welche Grundlagen müssen dafür erarbeitet werden, welche Interessensgruppen sollten dafür miteinander ins Gespräch kommen?

Das Projekt Mundraub zeigt auf, wie leicht eine Kommunikation über essbares Grün gelingen kann. Auch das Grünflächenamt Potsdam bietet in seinem Flyer an, die Pflege von Baumscheiben oder Grünflächen von Privatpersonen durchführen zu lassen. Dazu ist lediglich eine Anmeldung (das entsprechende Formular lässt sich herunterladen) nötig.

In den drei Panels „Meine Essbare Stadt 2030“, „Wo ist Raum für essbare Stadt in Potsdam“ und „Auf welchen Wegen tragen wir die Idee der Essbaren Stadt in die Öffentlichkeit“ wurde ca. eine Stunde lang im Rotationsprinzip visionär bis pragmatisch diskutiert. Die vielversprechenden Ergebnisse bieten Anknüpfungspunkte für zukünftiges Handeln:

Die Motivation der Anwesenden für eine Transformation zu mehr Essbarem im Stadtgrün ist vielfältig und reicht von den Aspekten Erholung und Gesundheit über nachbarschaftliche Begegnung bis hin zu Artenvielfalt und Klimaanpassung.
Dabei wurden in Potsdam allgemein die Parks und Spielplätze und insbesondere die Orte Freundschaftsinsel und Platz der Einheit als Erprobungsstandorte genannt. Für Drewitz kristallisierte sich das Grüne Kreuz mit seiner zentralen und repräsentativen Lage heraus. Daneben ist die Wendeschleife als Ursprungsort der Idee entsprechend zu gestalten. Von hier aus sollen weitere Fassaden, Innenhöfe und Balkone für die essbare Idee erreicht werden.

Unter dem Motto „Öffentlichkeit schaffen – Vorteile der Essbaren Stadt kommunizieren“ wurde beratschlagt, dass lokale Medien, Bildungseinrichtungen, Verwaltung, politische Organisationen und die Wohnungswirtschaft einbezogen werden sollten. Da dies mit der Idee eines Ernährungsrats in Einklang steht, ist auf die weitere Entwicklung dieses Vorstoßes zu achten.

Schließlich wurden verschiedene Maßnahmen definiert, um mit positiven Beispielen voranzugehen. Dabei sollte neben einem schlüssigen Konzept vor allem schnell umsetzbare kurzfristige Aktivitäten geplant werden. Die öffentliche Thematisierung vom Essbaren Drewitz sollte im Rahmen der allmählichen Fertigstellung des Stadtteils von der Eröffnung des Grünen Kreuzes über die Präsenz im neuen i-Café bis zum kommenden Gartenstadtfest reichen.

Eine detaillierte Sammlung aller angesprochenen Themen findet sich hier

Nur wenige Tage nach der Veranstaltung entstand bereits eine erste wichtige Kooperation: Studierende des Fachbereichs Geoökologie an der Uni Potsdam wollen sich im Rahmen eines interdisziplinären Studienprojekts in diesem Sommer mit einer Konzepterstellung für mehr essbares Grün in Drewitzer Innenhöfen befassen. Zunächst sollen Standortfaktoren überprüft werden, später könne man auf Grundlage des Konzepts weitere Interessensgruppen zu ihren Präferenzen befragen, so die Studierenden.